2024-09-24
Lieber Papa,
Vor Tau und Tag war ich nach langer Zeit auf der Heuwiese im Revier für einen Ansitz. Das Herzstück auf dieser seicht hügeligen Grasfläche ist ein Wäldchen, dessen Kontur einer Niere gleicht. Zart krochen Nebelbilder aus den Kieferspitzen des Waldes. Ich weiß, was du jetzt zu mir sagen würdest „Kind, das sind die heulenden Wölfe im Wald“, das habe ich dir sehr lange geglaubt. Das Läuten der Kirchturmglocken zur Dreiviertelstunde in der Ferne gaben mir heimatliche Erinnerungen zu unseren gemeinsamen Wanderungen im Hunsrück. Meine Schritte wählte ich sanft, leise auftretend, um die Tiere im Wald und der Umgebung nicht zu stören. Leichter Nebel, gemixt mit dem Duft der Kräuter, von den tags zuvor gemähten Wiesen war auf der Höhe meiner Sommersprossenreichen Stupsnase angekommen und kitzelte mich dort. Ich saugte das Aroma der Kräuter förmlich wie bei einem Dampfbad auf. Die unterbelichtete Landschaft wurde inzwischen von sanft gelb roten Strahlen der aufgehenden Sonne geweckt. Diese legte mir durch ihr Schattenspiel, sowie meiner einfallsreichen Fantasie ,eine Wanderkarte zu meinen Füßen, in der ich eine Mosel Landschaft mit Schiefergestein Erhebungen sah, auf deren Ebene Weinberge ihr Zuhause hatten.
Ein sich langsam näherndes Autogeräusch störten meine inneren Bilder im Geiste, wie man es anno dazumal vom Antennenfernseher kannte. Statt mir auf den Kopf zu schlagen, wie man es in jener Zeit mit dem Fernseher tat, um wieder ein klares Bild zu bekommen, blickte ich hinter mich zur Straße. Was will er hier! Der Typ sparte mal wieder am Scheinwerferlicht. Er leuchtete, mit einer Taschenlampe, aus seinen heruntergelassenen vorderen Seitenscheiben die Wiese ab. Seine innere Unberechenbarkeit wurde nach außen sichtbar,weil er in seinem Tun keinerlei Regeln oder Gesetze beachtet. Jedoch immer noch klug genug im Lügen wahr, dass er all seine Verbrechen im Gesellschaftlichen miteinander verschleierte. In nicht mal einer Sekunde stellte sich mein Körper, durch eine Naturgegebene menschliche Botenstoff Befehlskette im Gehirn auf Fluchtimpulse um. Dieser Mann war als nicht waidgerechter Jäger bekannt, was ich, wie du weißt, schon selbst einmal erleben durfte. Ich höre heute noch den nahen Schuss aus seiner Waffe, während ich vor seinem Auto stand.
Ich reagierte jetzt instinktiv sofort wie das schnellste Lebewesen der Welt. Meine Füße flogen eher über die Wiese in Richtung Dickicht, um im Wald Schutz zu suchen. Urplötzlich vermischte sich in meinen pulsierenden Ohren ein mir so vertrautes aufgeregtes Gequake. Ich erspähte rundherum um mich fliegende Stockenten, als wollten sie mich beschützen. Mein Herz und mein Atem tanzen Hardrock in mir, sodass Blitze von Sauerstoffmangel meine Muskeln fast taub machten. In Dauerschleife buchstabierte mir mein Gehirn nur ein Wort „RENN“. Pan, der Gott des Waldes und der Natur, trieb Schabernack in mir und scheuchte mich in die mir so gut bekannte Panik. Bohrende Schmerzen an den Händen, die sich wie mehrere Bienenstiche anfühlten, ließen mich wieder etwas zu Sinnen kommen.
Der Schreckgedanke, dass ich in einen Bienenstock gerannt wäre, holte mich schlagartig aus der Panik. Ein Schlehenbusch Arsenal hatte mich in sich aufgenommen und beim Versuch mich daraus zu befreien, gruben sich Dornen durch meine Haut in die Hände. Beim Anblick der Hautfetzen und dem verschmierten Blut auf meinen zarten Händen, fiel ich in meine übliche Ohnmacht. Flüsternde, dumpfe Geräusche aus unbekannter Sprechweise, die ich nicht kannte, holten mich aus dieser. Synchron dazu fiel schummriges dunkles grünes Licht in meine geschlossenen Augenlider und ich spürte einen verbrauchten warmen stinkenden Luftstrom hautnah auf meinem Mund. Dieser Gestank löste einen würgenden Ekel in mir aus. Bevor ich Unheil damit anrichten konnte, hörte ich nun, wie eine brummige Stimme versuchte zu flüstern: „Annabell, wach auf, alles ist gut “ Wie hypnotisiert hörte ich darauf und öffnete vorsichtig meine Augen. Über meinem Gesicht hingen drei Waldwesen mit ihren kühlen, feuchten Nasen, sodass kein Blatt Papier dazwischen passte. Mir viel als Erstes der Rehbock ins Auge. Mit seiner stolzen Haltung, seinem Geweih, das dunkelgrün schimmerte und Goldstaub versprühte, sah er aus wie ein König. Ein Dachs und ein Fuchs saßen artig wie ein gut erzogener Hund neben ihm. Nun war mir die Ursache des Ekelgestankes klar. Der kleine noch junge Dachs rutsche hinter meinen Kopf und half mir, mit seinen Vorder- branten in eine sitzende Position zu kommen, sodass ich langsam einen Überblick meines jetzigen Standortes bekam. Ich saß mitten in einer tiefgrünen Zirkelkreiswiese, auf der kleine Erdvulkane verteilt waren. Statt Lava spukten sie zarte Federn in Regenbogenfarben aus, die sich irgendwann in der Luft auflösten. Eine meterhohe Ringmauer aus Ebereschen und Waldkirschen, eingewebt im Schlehdorn verhinderten das Eintreten von ungebetenen Gästen. Inzwischen legte sich der Fuchs schnurrend wie ein Kater auf meinen Schoß, sodass ich ihn instinktiv mit den Händen streicheln wollte. Ein Rückblende-Bildnis in mir verhinderte dies, ich glaubte verletzte Hände zu fühlen, wo nun keine waren. Untersuchend sah ich nun diese an, es waren wirklich keinerlei Verletzungen sichtbar. Gerade als mein Mund den Satz aussprechen wollte, wie lange ich ohnmächtig war, ergriff der Rehbock das Wort, „Du warst nicht lange ohnmächtig.“ Verwirrt schaute ich ihn an, konnte er etwa Gedanken lesen? Mir war nun klar, dass ich einem sehr besonderen geheimen Ort im Wald war, deren Bewohner einmalige Wesen sind.
Lieber Papa, ich schließe nun diesen Brief an dich, da es schon fast Mitternacht ist und werde dir das weitere Geschehen im nächsten Brief schreiben.
Deine Annabell
Dear Papa,
Before dawn, after a long time, I was out in the meadow in the hunting area for a sit. The heart of this gently rolling grassy area is a small forest, whose outline resembles a kidney. Delicate mist rose from the tops of the pine trees. I know what you would say to me now: “Child, those are the howling wolves in the forest.” I believed you for a long time. The distant ringing of the church bells, chiming every three-quarters of an hour, brought back memories of our hikes together in the Hunsrück. I chose my steps gently, moving quietly, so as not to disturb the animals in the forest and the surrounding area. A light mist, mixed with the scent of herbs from the freshly cut meadows, reached the tip of my freckled nose and tickled me there. I practically inhaled the aroma of the herbs as if I were in a steam bath. The dimly lit landscape was gradually awakened by the soft yellow-red rays of the rising sun. Through its play of light and shadows, combined with my vivid imagination, I saw a map at my feet, where I envisioned the Moselle landscape with slate rock elevations, home to vineyards on the plains.
A nearby, almost sneaky sound of a car disturbed my mental images, much like the static from an old TV with an antenna. Instead of hitting myself on the head, as we used to do with the TV to get a clear picture again, I looked back towards the road. What is he doing here! The guy was saving on headlights again. He was shining a flashlight through the lowered front window, sweeping it over the meadow. His inner unpredictability showed outwardly in how he disregarded any rules or laws in his actions. Yet, he was still clever enough to lie convincingly and cover up his crimes in social interactions. In less than a second, my body switched into flight mode, triggered by the natural human chain of hormones in the brain. You know, this man was known as an unethical hunter, something I, as you know, have unfortunately experienced firsthand. I can still hear the nearby shot from his gun as I stood in front of his car.
Now, I instinctively reacted like the fastest creature in the world. My feet flew over the meadow towards the thicket, seeking shelter in the woods. Suddenly, the familiar sound of excited quacking filled my pulsating ears. I spotted mallard ducks flying all around me as if they wanted to protect me. My heart and breath were racing like hard rock music inside me, so much so that flashes of oxygen deprivation almost made my muscles numb. My brain spelled out just one word on repeat: “RUN.” Pan, the god of the forest and nature, played tricks on me and drove me into the panic I knew so well. Piercing pain in my hands, like multiple bee stings, brought me back to my senses.
The terrifying thought that I had run into a beehive snapped me out of my panic. A thorn bush had trapped me, and as I tried to free myself, the thorns dug through my skin and into my hands. Seeing the torn skin and smeared blood on my delicate hands, I fell into my usual faint. Muffled, whispering sounds in an unknown language, which I didn’t recognize, brought me out of it. At the same time, a dim, dark green light filtered through my closed eyelids, and I felt a warm, stale, foul-smelling breath close to my mouth. The stench triggered a gagging disgust in me. Before I could cause any harm, I heard a gruff voice trying to whisper: “Annabell, wake up, everything is fine.” Hypnotized, I obeyed and carefully opened my eyes. Three forest creatures, their cool, damp noses so close that not even a sheet of paper could fit between them, were hanging over my face. The first thing I noticed was the stag. With his proud stance, his antlers shimmering dark green and dusted with gold, he looked like a king. A badger and a fox sat obediently beside him, like well-behaved dogs. The source of the foul stench now became clear. The small, young badger slid behind my head and helped me into a sitting position with his front paws so that I could slowly get a sense of where I was. I found myself sitting in the middle of a deep green circular meadow, dotted with small earth mounds. Instead of lava, they spewed delicate rainbow-colored feathers that eventually dissolved in the air. A towering ring wall made of rowan trees and wild cherries, interwoven with blackthorn, prevented uninvited guests from entering.
Meanwhile, the fox curled up in my lap, purring like a cat, and I instinctively wanted to stroke him with my hands. A flashback stopped me—I thought I felt the pain of injured hands, though now there were none. I inspected them closely and found no injuries. Just as I was about to say how long I had been unconscious, the stag spoke: “You weren’t unconscious for long.” Confused, I looked at him—could he read my thoughts? It was now clear to me that I had stumbled upon a very special, secret place in the forest, inhabited by unique creatures.
Dear Papa, I will close this letter now, as it is almost midnight, and I will write to you about what happens next in my next letter.
Your Annabell
NicoleReichle - 17:58:39 | Kommentar hinzufügen
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